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Es ist eine Bilderbuchkarriere: Mit 26 Jahren wird Jens Rittmeyer Küchenchef und erkocht sich kurz darauf in Portugal seinen ersten Michelin-Stern. Ein Titel, den er bis heute verteidigt. Seine große Leidenschaft sind exzellente Saucen, die ihm den Namen „Saucengott“ einbrachten. Weil immer mehr Gäste danach fragten, produzierte er nebenbei verschiedene Saucen in Gläschen, die reißenden Absatz finden. Warum er heute kulinarisch nur noch auf seine Gäste hört und am liebsten im John-Wayne-Stil kocht, verriet er uns in seinem Restaurant No.4 in Buxtehude bei Hamburg
Für andere mag es nichts Besonderes sein, für Jens Rittmeyer war es als Kind der Himmel auf Erden – wenn seine Mutter gebackenen Camembert mit pikanter Tomatensauce machte. „Für mich und meine Schwester gab’s nichts Besseres!“, schwärmt der Sternekoch noch heute. Von Mutter und Großmutter erbte er die Liebe zum Kochen. Schon damals hatte er ein Faible für Saucen. Und so war es das Größte, wenn er die Tomatensauce selbst zubereiten durfte.
Dass er nach der zehnten Klasse eine Kochlehre machen würde, war also sonnenklar. Jens Rittmeyer ist dem Schicksal dankbar für viele glückliche Umstände: Dank dem Mauerfall hatte er die Chance, von Halle an der Saale im 750 km entfernten Baden-Baden zu lernen. „Für mich taten sich damit ganz neue Möglichkeiten auf“, erinnert sich der 45-Jährige.
Nach verschiedenen Stationen zog es ihn im Jahr 2000 in die Sterneküche nach Xanten (Nordrhein-Westfalen) ins Landhaus Köpp, wo er lernte, wie man eine Sauce aromatisiert, und ein Jahr später als Saucier nach Bergisch Gladbach ins Schlosshotel Lerbach, in das Restaurant von Dieter Müller. Neben Eckart Witzigmann hat Dieter Müller die Entwicklung der deutschen Hochgastronomie maßgeblich vorangetrieben. Er erkochte 1997 seinen dritten Michelin-Stern. Schon früh konzentrierte er sich auf die Kunst der klassischen Saucen. Also genau die richtige Adresse für Jens Rittmeyer! Der junge Koch war ehrgeizig und ließ sich weder von harter Arbeit noch von langen Tagen schrecken.
„Dieter Müller sah wahrscheinlich das Händchen beim Saucenkochen“ sagt Rittmeyer. „Er hat mir sehr viel Vertrauen gegeben. Das war wie ein Ritterschlag. Zum Abschied bekam der Saucier von Dieter Müller ein sehr gutes Zeugnis und eine Schürze, auf der stand: „Danke für die fantastischen Saucen auch im Namen vieler glücklicher Gäste.“
2002 ging Jens Rittmeyer nach Albufeira an die portugiesische Atlantikküste, kochte als Souschef in der „Vila Joya“ und bekam ein Jahr später das Angebot, im „Sao Gabriel“ – nur vierzig Kilometer entfernt – Küchenchef zu werden. Eckart Witzigmann riet dem damals 27-Jährigen: „Junge, kochen kannst du. Wenn du denkst, du kannst Gäste damit glücklich machen und ein Team führen, dann mach das!“ Jens Rittmeyer machte es – und holte sich seinen ersten Michelin-Stern.
Fast acht Jahre verbrachte Jens Rittmeyer an der Algarve. „The time of my life” nennt der begeisterte Hobbytaucher diese Zeit. „Wenn man nur eine Minute vom Meer entfernt ist, bedeutet das schon eine große Lebensqualität. Mit dem Wissen aus Portugal kam noch einmal eine ganz andere Stilistik in meine Küche.“
Davon profitierte das Restaurant Kai3 (Hotel Budersand) auf Sylt, seine nächste Station 2010. Dort erkochte er sich mit seinem Team erneut einen Michelin-Stern. Vor vier Jahren betrat Jens Rittmeyer wieder einmal Neuland: als Küchenchef und gastronomischer Leiter des Restaurants No.4 des Navigare NSBhotels in Buxtehude bei Hamburg. – Buxtehude? Das stieß anfangs auf Unverständnis. Ein so renommierter Sternekoch in der Provinz? Doch Rittmeyer war begeistert von der Umgebung. Das Alte Land mit seinem tollen Obst und Gemüse hatte es ihm sofort angetan. Vor allem auch, weil sein neuer Arbeitgeber ihm völlig freie Hand ließ. 2017 gab es dann auch hier einen Michelin-Stern. Mit seiner raffinierten, aber schnörkellosen und gemüsebetonten Küche sowie erstklassigen Saucen konnte er schnell viele Feinschmecker-Herzen erobern.
Außerdem überrascht er seine Gäste mit immer neuen Ideen: Seit drei Jahren findet z. B. das Farm-to-Table-Dinner direkt am Feldrand statt. Die Idee: An einigen Sommertagen dort ein Menü zu kochen und zu servieren, wo die Zutaten wachsen. Mit der Landwirtin Kerstin Hintz vom Biohof Ottilie hat Jens Rittmeyer die perfekte Erzeugerin gefunden. Vom Gemüsebeet direkt auf den Teller – frischer geht es nicht.
Jens Rittmeyer hat sich in Buxtehude verstärkt auf besondere Gemüsezubereitungen – auch mit alten Sorten wie Haferwurzel – spezialisiert, kocht regional und saisonal. Die Gäste danken es ihm. Auf vielfachen Wunsch gibt es extra einen Zwischengang nur mit Brot und Sauce. Nicht umsonst wird er hier auch der Saucengott genannt.
„Junge, kochen kannst du. Wenn du denkst, du kannst Gäste damit glücklich machen und ein Team führen, dann mach das!“
Wie oft hatte Jens Rittmeyer den Satz „Schade, dass man ihre Saucen nicht kaufen kann“ gehört! Auf Sylt konnten seine Gäste die Saucen schon provisorisch abgefüllt in Gläsern ohne Etikett mitnehmen. In Buxtehude hatte er nun endlich die Gelegenheit, seine Köstlichkeiten im großen Stil herzustellen. Mittlerweile kann man mehr als ein Dutzend seiner verschiedenen Saucen im Internet bestellen. „In den letzten drei Wochen habe ich 1200 Gläser à 200 ml befüllt“, erklärt er. Auch seine Saucenkochkurse erfreuen sich großer Beliebtheit und sind im Nu ausgebucht.
Der Mann ist ein Workaholic und arbeitet fast rund um die Uhr. Doch davon merkt man nichts, wenn man ihn trifft. Im Gegenteil: Er ist entspannt, locker und humorvoll.
„Ich bin froh, dass unsere Stammgäste uns auch in diesen schwierigen Zeiten die Treue halten“, sagt er. Krisenbedingt wurde das Restaurant-Konzept geändert. „Wir haben nur noch an wenigen Tagen geöffnet und versuchen, den Abend für die Gäste noch persönlicher zu gestalten. Dazu gehören auch Informationen über die Produkte oder ihre Zubereitung. Und die Leute sind dankbar.“
Anfang 2019 hat Jens Rittmeyer mit seinem Team entschieden, dass es keine vorgefertigte Karte im Netz gibt und sie vorab keine Menüfolge mehr an die Gäste verschicken. Die Stammgäste fanden das Farm-to-Table-Konzept mit dem Überraschungsmenü so gut, dass sie darum baten, es auch im Restaurant anzubieten. „Im Moment servieren wir nur noch Überraschungsmenüs“, erklärt der Sternekoch. „Dass diese Idee so gut angenommen wird, hätten wir nie gedacht. Die Erwartungshaltung der Gäste ist dadurch eine ganz andere. So lernen sie unvoreingenommen ganz neue Produkte und Gerichte kennen.“
Ein weiterer Pluspunkt: Die Küche kann sehr flexibel sein und zum Beispiel verschiedene Gemüse gegeneinander austauschen. Das hat Rittmeyer in Portugal gelernt. „Ich koche gern im John-Wayne-Stil, was manchem Mitarbeiter den Schweiß auf die Stirn treibt. Ich improvisiere gern und sage dann: „Entspannt euch, wir werden schon etwas Leckeres hinbekommen.‘“
Wie sehen seine nächsten Pläne aus? „Ich hätte irgendwann gern einen eigenen Laden“, gesteht er. „Eine Art Shop in Shop mit Delikatessen im Vordergrund, vielleicht auch mit einem Snack to go, dann einen hinteren Raum vor einer gläsernen Küche mit zwei, drei Tischen, wo man Rittmeyers Küche genießen kann. Doch im Augenblick bin ich sehr zufrieden.“
Text: Ann-Christin Baßin / Bild: Götz Wrage