Auch und vor allem dank Zucker wird Europa immer kugelrunder. Eine erstaunliche Karriere, die der süße Verführer da hingelegt hat – wenn man bedenkt, dass ihn in unseren Breiten vor knapp 200 Jahren noch kaum jemand kannte.
Tropisches Naturprodukt
Eigentlich müsste man ja meinen, Zucker sei total gesund. Schließlich handelt es sich um ein pflanzliches Produkt, und was aus der Natur kommt, gilt in der Regel als unverdächtig. Gewonnen wird Zucker einerseits aus dem tropischen Zuckerrohr, dessen lateinische Fachbezeichnung Saccharum officinarum lautet, und das vor allem in Brasilien, Indien und China sowie in Australien, den USA und weiteren lateinamerikanischen Ländern angebaut wird. Hauptsache, es ist schön warm, denn bei Frost stirbt Zuckerrohr im Handumdrehen den Erfrierungstod. Süßmäulern, die auf die Idee verfallen sollten, an ein paar Zuckerrohrblättern zu knabbern, sei an dieser Stelle empfohlen, sich besser auf die Halme zu verlegen, denn in deren Mark befindet sich der Zucker. Das nach ein- oder gar mehrjähriger Kulturdauer geerntete Mark enthält zwischen elf und 20 Prozent davon, wird gepresst und dann entweder zu braunem Rohrzucker eingedampft oder zur Gewinnung von weißem Zucker gereinigt und konzentriert.
Napoleon war ein Rüben-Fan
Im Gegensatz zur Zuckerrohrpflanze, deren süßes Geheimnis bereits 8.000 v. Chr. in Neuguinea gelüftet wurde, hat die auch in unseren Graden verbreitete Runkelrübe ihren Siegeszug als Zuckerlieferantin erst vergleichsweise spät angetreten. Im Jahr 1747 stellte der deutsche Chemiker Andreas Sigismund Marggraf (1709-1782), dessen Vater in seiner Berliner Apotheke einen lukrativen Handel mit dem damals apothekenpflichtigen Luxusgut Rohrzucker betrieb, auf seiner Suche nach Zucker in heimischen Gewächsen fest, dass der Zucker der Runkelrübe mit dem des Rohrzuckers identisch war. Innerhalb weniger Jahrzehnte gelang es, den ursprünglich geringen Zuckeranteil von rund 1,5 Prozent auf fünf und später über zwölf Prozent zu steigern. Heute liegt er bei durchschnittlich 17 Prozent. Mit der Entdeckung des Rübenzuckers war das Monopol des importierten Rohrzuckers gebrochen. Durch Napoleons Kontinentalsperre gegen britische Kolonialwaren in den Jahren 1806-1813, dem damit einhergehenden Einbruch des Zuckerrohrhandels und eine rübenfreundliche Gesetzgebung des Franzosen erlebte die Zuckergewinnung aus Rüben einen regelrechten Boom, der allerdings nach der Aufhebung der Sperre komplett einbrach. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts führte die Konkurrenz zwischen Rüben- und Rohrzucker zu jenem massiven Preisverfall, der Zucker endgültig von einem Luxus- zum Konsumgut für die Massen werden ließ.
Gemein: Fies versteckte Kaloriechen
Wer aufs Gewicht achten will, hat es in Sachen Zucker leider nicht leicht. Es reicht nicht, sich die Sahnetorte oder ein paar Löffel im Kaffee zu verkneifen. Auch der Verzicht auf den regelmäßigen Genuss von Cola mit ihren berühmt-berüchtigten 35 Zuckerwürfeln pro Liter rettet nicht zwingend vor dem Verlust der schlanken Linie. Wobei alternative Softdrinks keine Lösung sind. Limonaden und Konsorten hinken dem Kalorienbomben-Klassiker Cola nur um wenige Würfelchen hinterher. In zahlreichen Lebensmitteln versteckt sich Zucker, auch wenn man das auf Anhieb kaum vermuten würde. Besonders gefährlich sind Saucen. So ist in den meisten Ketchup-Sorten Zucker neben Tomatenmark Hauptbestandteil, Barbecue-Saucen kommen gerne mal auf bis zu drei Würfel pro Esslöffel. Selbst im vermeintlich ach so gesunden Müsli ist Zucker eine beliebte Zutat. Augen auf vor allem bei Cornflakes & Co.! Das gilt übrigens gleichfalls für die zum Frühstück ebenso beliebten Fruchtjoghurts.
Achtung Männer!
Zucker macht leider nicht nur dick und schadet den Zähnen, er kann sich auch auf die Psyche auswirken. So fanden Forscher des University College London im Rahmen einer großangelegten Studie vor einigen Jahren heraus, dass bei Männern, die am Tag rund 70 Gramm Zucker konsumierten, fünf Jahre später ein um knapp 25 Prozent erhöhtes Risiko für Stimmungsschwankungen wie Depressionen bestand. Erstaunlicherweise hatte der Zuckerkonsum auf das Gemüt von Frauen der Untersuchung zufolge keine Auswirkungen. Daher ein Rat an alle Leserinnen, die einen Mann an ihrer Seite haben, der gern über Unterzucker klagt (Für diejenigen, die das nicht kennen: „Ich hab’ Unterzucker“ lautet eine klassische Ausrede für schlechte Laune.): Diesem Zustand besser nicht mit zu viel Schokolade abhelfen, sonst wird die Laune irgendwann noch schlechter.
Tödlicher Traubensirup?
Bereits die alten Römer waren bekanntlich keine Kostverächter und auch Süßem durchaus nicht abgeneigt. Der Haken: Zucker war in Rom eine absolute Rarität, die aus Indien importiert werden musste und die sich daher nur die ganz Reichen leisten konnten. Alle anderen griffen auf Defrutum zurück, Traubensirup: Traubensaft wurde hierfür durch langes Kochen auf in der Regel ein Drittel seines ursprünglichen Volumens reduziert. Das Problem bei der Sache war, dass die allgemeine Empfehlung lautete, den Sirup in Bleigefäßen zu kochen. Heute ist bekannt, dass das ziemlich ungesund ist. Damals wusste man das nicht. Mit dem Resultat, dass manche Wissenschaftler mittlerweile vermuten, das Römische Reich sei nicht aufgrund von Laster und Dekadenz zugrunde gegangen, sondern schlicht und einfach nach und nach einer kollektiven Bleivergiftung zum Opfer gefallen.
Die Sache mit dem Süßstoff
Als Erfinder – oder vielmehr zufälliger Entdecker – des ersten künstlichen Süßstoffs gilt der russischstämmige Chemiker Constantin Fahlberg (1850-1910), der Ende des 19. Jahrhunderts an der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität eigentlich über Steinkohlenteer forschte. Er selbst erklärte seinen Zufallsfund später so: „Ich hatte, nachdem ich den ganzen Tag fleißig gearbeitet hatte, meine Hände vor dem Nachhausegehen gründlich gewaschen. Ich war sehr überrascht, als meine Hände beim Essen, als ich das Brot zum Munde führte, süß schmeckten. Ich hatte die Hausfrau im Verdacht, [doch] nicht das Brot schmeckte süß, sondern meine gewaschenen Hände“ – der Süßstoff Saccharin war geboren.
Die Horrormär vom Aspartam
Einer der meistverbreiteten Süßstoffe neben Saccharin ist heute das auch unter dem Namen Nutrasweet bekannte Aspartam, das in zahllosen Light-Produkten wie z. B. in Coca-Cola Zero enthalten ist. Auch wenn Verschwörungstheoretiker gern erzählen, mit Aspartam wollten irgendwelche geheimnisvollen US-Unternehmen die Weltbevölkerung vergiften: Bislang ist der Unkenruf, der Süßstoff sei krebserregend, in keiner wissenschaftlichen Studie nachgewiesen worden. Das Problem beim Süßstoff ist lediglich, dass er zuckrige Gelüste kein bisschen stillt. Das Zeug schmeckt zwar süß, aber das Gehirn lässt sich nicht austricksen – die Lust auf was „echt Süßes“ bleibt bestehen. So kann Süßstoff schlimmstenfalls sogar zum Dickmacher werden, wenn nach dem Verzehr von ersatz-gesüßten Lebensmitteln dann doch noch zu „richtigen“ gegriffen wird. Tipp: In solchen Fällen soll ein Stückchen Traubenzucker angeblich Wunder wirken.
Die Menge macht’s
Natürlich braucht keine Naschkatze ganz und gar auf Zucker zu verzichten. Doch wer Gewicht und Zähne (be)halten will, für den gilt folgende Faustregel: Laut WHO sollten es für einen Erwachsenen nicht mehr als 25 bis 50 Gramm reiner Zucker am Tag sein, wobei 50 Gramm ca. 10 Teelöffeln entsprechen. Wie, Sie meinen, so viel würden Sie niemals zu sich nehmen? Nun ja, allein eine Dose Limo hat gut und gerne mal 40 Gramm …