Susanne Jaspers
Guys Schwester Lis macht eine brisante Entdeckung: Mit dem Klößchen, das Bea aus dem Restaurant, in dem der beleibte Tischnachbar verstorben ist, mitgenommen hat, stimmt etwas ganz und gar nicht …
„Da haben wir den mutmaßlichen Übeltäter: Batrachotoxin.“ Aha. Offen gestanden, verstand Bea nur Bahnhof. Sie konnte der Flüssigkeit, die Lis ihr in einem Reagenzglas vor die Nase hielt, nichts Spektakuläres abgewinnen. „Das ist ein Derivat aus der Haut südamerikanischer Pfeilgiftfrösche. Ein bisschen so wie das wesentlich bekanntere Curare, nur noch um ein Vielfaches tödlicher. Schon wenn du eine Menge zu dir nimmst, die der Größe von zwei Salzkörnern entspricht, hast du’s hinter dir – Muskelkrämpfe, Kammerflimmern, schließlich Herzversagen: Exitus. Das Einzige, was dagegen helfen kann, ist ausgerechnet das Gift des ebenfalls tödlichen japanischen Kugelfischs Fugu. Aber den scheint euer Freund aus dem Restaurant neben seinen Kniddelenleider nicht auf dem Speiseplan gehabt zu haben. Spuren von Batrachotoxin habe ich an dem Klößchen gefunden, das du hast mitgehen lassen. Wenn der Mann schon einen Großteil der Portion verdrückt hatte und dein Klößchen nicht das einzige mit dieser ganz speziellen Zutat war, dürfte das voll ausgereicht haben, um dem Dickerchen den Garaus zu machen.“ Bea musste sich eingestehen, dass Empathie und Mitgefühl nicht unbedingt zu den herausragenden Eigenschaften von Guys Schwester zählten.
„Und was fangen wir jetzt mit diesem Wissen an?“ „Ich habe eine gute Freundin bei der Kripo, Christiane Scholtes. Ich schlage vor, ich rufe sie morgen früh an und wir verabreden uns mit ihr. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es sie interessiert, was wir zu erzählen haben. Und jetzt“, beschloss Lis die Sitzung im Labor, „stoßen wir auf unseren Ermittler-Spürsinn an.“
Als Bea ziemlich spät und ein bisschen beschickert nach Hause kam, war Guy schon ins Bett gegangen. Auf ihre SMS, in der sie ihm mitgeteilt hatte, dass es etwas später würde, hatte er nicht geantwortet. Wahrscheinlich war er sauer. Was sie durchaus verstehen konnte. Aber die Gelegenheit, sich vor der fiesen Feierstengszalotzu drücken, war einfach zu verführerisch gewesen. Außerdem dürfte es nicht schaden, wenn sie sich mit Guys Schwester gut verstand. Schließlich schien das mit ihr und Guy etwas Ernstes zu sein. Manchmal fragte sie sich, ob es vielleicht eine Idee wäre, das Ganze offiziell zu besiegeln. Doch bislang hatte Guy keinerlei Anstalten in diese Richtung gemacht. Seiner momentanen Laune nach zu urteilen, würde das wohl auch noch ein ganzes Weilchen auf sich warten lassen: „Feierstengszalot im Kühlschrank“, stand auf einem Zettel, der auf dem Küchentisch lag. Keine Spur von „Kuss“, „Schatz“ oder „Gute Nacht“. Ach herrje, das würde morgen beim Frühstück heiter werden.
Sie hätte sich keine Sorgen um die Stimmung beim morgendlichen Kaffee zu machen brauchen. Als sie leicht verkatert in die Küche kam, war Guy schon weg. An der im Kühlschrank fehlenden Tupperware-Dose mit der luxemburgischen Spezialität erkannte sie, dass er die von ihr am Vorabend verschmähten Reste mit ins Büro genommen hatte. Gott sei Dank! Sie überlegte gerade, wie sie Guy wieder gütlich stimmen könnte, als ihr Lis per WhatsApp mitteilte, dass sie sich in zwei Stunden im Chocolate House in der Oberstadt mit Christiane Scholtes treffen würden.
Die Polizistin war Bea auf Anhieb sympathisch. Die war ihrerseits allerdings weniger angetan vom dem, was Bea und Lis ihr erzählten. „Ach herrje, die Leiche ist schon so gut wie freigegeben, alle sind von einer natürlichen Todesursache ausgegangen. Dieser Arzt hatte schließlich noch im Restaurant Herzversagen diagnostiziert. Kommt ja häufiger vor, bei so einem Übergewicht. Und auch, als der Tote später nochmal genauer untersucht wurde, sind keinerlei Unregelmäßigkeiten aufgefallen. Zumal seine Witwe uns glaubhaft versichert hat, dass ihr Mann schon seit Längerem mit Herzproblemen zu kämpfen gehabt hätte. Aber nach dem, was ihr mir gerade erzählt habt, haben wir wohl einen Fall.“
Lis schien angestrengt nachzudenken. „Ich glaube, ich kann euch ein bisschen bei der Aufklärung helfen“, meinte sie dann. „Normalerweise werden derartige Giftmorde durch eine Injektion verübt. Du sagtest, bei der Untersuchung des Toten hätte niemand etwas in der Art festgestellt. Damit gehe ich davon aus, dass es auch keine Einstichstelle gab. Daraus folgt …“, Lis hob triumphierend (und ein bisschen belehrend, wie Bea fand) den Zeigefinger, „dass der Täter das Opfer gut kannte.“ Christiane und Bea sahen sie verständnislos an. „Denn“, fuhr Lis fort, „bei gesunden Menschen ist die orale Einnahme von Batrachotoxin relativ ungefährlich. Nur bei jemandem, der unter einer Erkrankung des Magen-Darm-Traktes leidet, kann es seine tödliche Wirkung entfalten. Der Täter muss also gewusst haben, dass der Mann magenkrank war“, schlussfolgerte sie. „Und das wusste mit Sicherheit nicht jede x-beliebige Küchenhilfe im Restaurant, sondern nur eine oder einer, der das Dickerchen gut kannte. So, und jetzt bestellen wir ein paar Mendiants, die sind hier nämlich extraklasse!“
Dieser Beitrag ist auch verfügbar auf:
English
Français