Am 20. Februar 2024 durfte Luxemburg eine wahre Größe der internationalen Barkeeperszene begrüßen: Rémy Savage, eine Legende hinter dem Bartresen, ein Wegbereiter der Mixologie und ein Innovator in Sachen Bar-Konzeption. Mit seinen wegweisenden Bars in Städten wie London (A Bar With Shapes For a Name), Paris (Le Bar Nouveau) und Lyon (L’Abstract) hat der gebürtige Franzose weltweit Maßstäbe gesetzt und zählt momentan zu den prägendsten Persönlichkeiten in der internationalen Cocktail- und Barszene.
Seit 2021 setzen sich Caves Wengler mit der Initiative „Symposium“ dafür ein, das Niveau der Cocktail- und Spirituosenszene in Luxemburg radikal zu transformieren. Das Ziel? Eine lebendige Gemeinschaft ins Leben zu rufen, in der Austausch von Wissen, gegenseitige Förderung und fortlaufende Bildung im Vordergrund stehen. Ein breites Spektrum an Aktivitäten – von Workshops über Gast-Barkeeper-Einsätze bis hin zu Masterclasses mit weltbekannten Experten – bildet den Nährboden für Innovation und persönliche Entwicklung. Das Symposium definiert sich weit über einen bloßen Treffpunkt hinaus; es ist vielmehr eine Plattform, die Barkeeper, Besucher und alle, die sich nach einem tieferen Sinn sehnen, zusammenführt, um gemeinsam neue Grenzen zu entdecken.
Wir hatten das Vergnügen, ein inspirierendes Treffen mit Rémy Savage und Richard Gillam, dem kreativen Kopf hinter „Symposium“ bei Wengler, im Paname zu erleben. Dabei ging es nicht nur um das Event, sondern auch um Kunst, Philosophie und darum, was einen guten Drink ausmacht!
Wie kam die Zusammenarbeit zwischen „Symposium“ und Rémy Savage zustande? Was erhofft ihr euch von der Zusammenarbeit?
Richard: Ich war ganz gezielt auf der Suche nach Talenten, die ich nach Luxemburg einladen könnte, und habe mich dafür bei unseren lokalen Barkeepern erkundigt. Schnell kam Rémys Name ins Spiel, denn er gilt derzeit als der „Golden Boy“ der Szene. Deswegen haben wir ihn für eine Gast-Schicht im Paname eingeladen. Solche Gast-Schichten sind sowohl für die Kunden als auch für die Bar fantastisch, allerdings profitieren die Barkeeper oft nicht direkt davon, da sie zu diesen Zeiten meist selbst im Einsatz sind. Aus diesem Grund organisieren wir am Folgetag einen Workshop mit sechs Barkeepern aus Luxemburg, die gemeinsam mit Rémy und seinem Team an einigen Drinks feilen. Wir haben dafür extra ein kleines Labor eingerichtet.
Rémy: Genau dieser „pädagogische Aspekt“ hat mich an dieser Gelegenheit besonders interessiert hat. Als kreativer Kopf hinter der Bar kennt man die Herausforderung: Man entwickelt einen neuen Drink und bringt ihn zu etwa 90% zur Vollendung. Oft benötigt man für die letzten fehlenden 10% jedoch den Impuls oder die Inspiration von jemand anderem. Hier kommen mein Team und ich ins Spiel. Wir möchten den Teilnehmern die einzigartige Chance geben, ihre Ideen vollständig umzusetzen.
Richard: Bei der Gestaltung des Workshops wollten wir natürlich sicherstellen, dass er zu Rémys Stil passt. Wir ließen uns von der berühmten, bunten Nana-Statue von Niki de Saint Phalle, die in der Stadt zu finden ist, inspirieren und forderten die Teilnehmer auf, einen Cocktail zu kreieren, der sowohl von dieser Statue als auch von Rémys Ansatz inspiriert ist. Der Drink sollte allerdings nicht fertig sein; vielmehr ging es darum, eine solide Grundidee zu entwickeln, die dann mit der Hilfe von Rémy und seinem Team zur Perfektion gebracht wird. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass am Ende ein Drink entsteht, der in die Menükarte aufgenommen werden kann und täglich angeboten wird.
Rémy, deine Bars sind alle bestimmten Kunstbewegungen der frühen Moderne gewidmet. Was fasziniert dich an dieser Thematik?
Rémy: Meine Wurzeln liegen ja eigentlich in der Philosophie, und mich hat stets die Frage fasziniert: Warum erschaffen Menschen Kunst? Warum gibt es in bestimmten Epochen Kunstwerke, die sich ähneln oder die gleichen Themen aufgreifen, auch wenn die Künstler nicht direkt miteinander in Kontakt standen? Meiner Ansicht nach erleben Menschen in derselben Epoche ähnliche Herausforderungen und suchen, wenn auch mit unterschiedlichen Ansätzen und Medien, nach Lösungen. In der Moderne zum Beispiel wurden Fragen aufgeworfen, die bis heute Bestand haben. Die Art Nouveau etwa setzte sich als ästhetisches Gegenstück zur Industriellen Revolution. Die Bauhaus-Architektur wiederum suchte nach neuen Lösungen für das Wohnen in den immer weiter wachsenden Städten. Heute, im Zeitalter der digitalen Revolution, können wir diese zeitgenössischen Fragen auf ähnliche Weise nachvollziehen.
Als internationaler Player und kreativer Kopf hast du bestimmt noch weitere Pläne. Welche Kunstbewegung und Stadt sind als Nächstes für eine Themenbar geplant?
Rémy: Das muss ich meiner Mutter erzählen, ich bin ein internationaler Player! (lacht). Also, ich möchte unbedingt eine Bar im Stil des Futurismus machen. Das geht natürlich nicht irgendwo, das muss in Mailand sein! Glücklicherweise haben wir dort passende Möglichkeiten gefunden, sodass wir diese Idee bald verwirklichen können. Es ist immer entscheidend, dass der Stil der Bewegung zur Stadt passt. In London haben wir beispielsweise eine Bar dem Bauhaus gewidmet. Gut, streng genommen war das Bauhaus keine Bewegung, sondern eine Schule, aber ein wenig kreativer Freiraum ist erlaubt. Das Bauhaus-Konzept in London ergibt Sinn, da viele Bauhaus-Künstler während des Dritten Reichs nach London flohen. Daher sind dort immer noch Gebäude und Einflüsse der Schule zu finden. Für Paris war die Wahl der Art Nouveau offensichtlich.
Und wie ziehst du den Faden zwischen diesen philosophischen Überlegungen und dem Konzept „Cocktailbar“?
Rémy: In der Regel besucht man eine Cocktailbar, um eine gute Zeit zu haben. Es ist ein kleiner, erschwinglicher Luxus, der einem einen kleinen Eskapismus im Alltag bietet. Genau diese Idee verfolgte auch die Art Nouveau: In der Kunst wurde versucht, eine romantisierte Form der Natur darzustellen, die einen Ausweg aus der ästhetisch unbefriedigenden städtischen Realität des Industriezeitalters bot. Diese zentrale Idee setze ich auf konzeptioneller Ebene sowohl durch das Interieur der Bar als auch durch die Cocktails selbst um. Beim Bauhaus habe ich mich an der radikalen Vereinfachung inspiriert, auf die Reduktion auf das Essenzielle.
Eines der Hauptziele des „Symposium“ ist es, dein Wissen und deine Erfahrung mit jungen, aufstrebenden Barkeepern hierzulande zu teilen. Was sind die zentralen Werte, die du übermitteln möchtest?
Rémy: Das ist eine gute Frage, denn normalerweise würde ich sagen, man solle sich erlauben, kreativ zu sein. Andererseits ist es auch wichtig, etwas Disziplin zu haben. Aber ich glaube, das Wichtigste ist, dass man die Dinge nicht zu überkompliziert macht. Viele jüngere Bartender glauben, dass wenn man komplizierte Techniken und exotische Zutaten benutzt, es einen automatisch nach einem guten Bartender aussehen lässt. Ich glaube, es macht genau das Gegenteil. Es lässt einen eher unerfahren wirken. Komplexe Drinks sehen vielleicht cool aus, aber in der Regel halten sie vom Geschmack nicht das, was sie von außen versprechen.
Richard: Da stimme ich voll und ganz zu. Als Juror bei zahlreichen Cocktailwettbewerben habe ich unzählige Drinks bewertet. Und weißt du, was dabei am seltensten auf den Tisch kam?
Rémy: Ein wirklich guter Drink?
Richard: Genau, ein wirklich leckerer Drink! Ich habe hunderte von Drinks gesehen – kreative, interessante, optisch ansprechende – aber nur ein Bruchteil davon hat wirklich gut geschmeckt. Deswegen gebe ich immer zwei Ratschläge: Erstens, versichere dich, dass du den Drink auch wirklich zubereiten kannst. Und zweitens, sorge dafür, dass er gut schmeckt! Wenn dein Drink nicht mindestens so gut ist wie ein frischer Raspberry Caipirinha, warum machst du dir dann überhaupt die Mühe?
Dann bin ich mal gespannt, was ihr mir auf meine obligatorische Abschlussfrage antworten werdet. Was sind momentan eure Lieblingsdrinks?
Rémy: Wie gesagt, ich bin sehr einfach gestrickt: Ich mag Gin Tonics, ich mag Martinis und generell alles, was mit Cognac zu tun hat. Zum Beispiel gibt es einen Drink, den ich auch heute Abend anbieten werde, der aus meiner Bar in Paris stammt und „Le Finaleau“ heißt. Er besteht aus Cognac, Verjus und Sprudelwasser. Super einfach, meine Mutter könnte ihn mixen, aber echt lecker. Das ist immer das Erste, was ich mir gönne, wenn ich nach Paris zurückkomme.
Richard: Ich finde Pisco Sours gerade echt spannend, als eine Art moderner Twist zu den klassischen Sours. Ansonsten bin ich immer dafür, klassische Cocktails mit lokalen Schnäpsen zu mixen. Nehmen wir den Gin Tonic: Gin ist ja eigentlich ein Schnaps aus Wacholderbeeren, also eine Art Obstbrand. Hier in Luxemburg haben wir viele tolle Obstbrände: Zwetschge, Kirsch, Himbeere … Mir schmeckt zum Beispiel Kirsche mit Tonic viel besser als Gin mit Tonic.
Rémy: Widerlich! (lacht)
Gut, über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Wir wünschen euch viel Spaß bei der Guestshift und viel Erfolg beim Workshop morgen früh!
Bilder: Kachen & WENGLER