Auch verfügbar auf: English
Français
Deutsch
Morgens eins zum Frühstück und abends eins im Sternerestaurant. Das Ei kann Alltag und Luxus. Die Geschichte einer oftmals unterschätzten Zutat.
Das Ei begann seine österliche Karriere als Geldersatz. Die Kirchenoberen hatten seit dem frühen Mittelalter ihren Gemeinden für die Fastenzeit strengstens geboten, ihr sollt nicht essen, Fleisch noch Eierspeisen. Die Hühner allerdings legten munter weiter und von Tag zu Tag sammelten sich mehr Eier an. Was taten die folgsamen gläubigen Bauern mit dem Überfluss? Da sie selbst nicht im Pomp von Kardinälen und Priestern schwelgen konnten, kochten sie die Eier hart und machten sie so haltbar. Auch, weil sie wussten, dass sie den zu Ostern üblichen Pachtzins der kircheneigenen Felder mit den angesammelten Eiern entrichten mussten. Wenige erhaltene mittelalterliche Handschriften belegen, dass die Bauernhöfe an den Ostertagen jeweils 100 Eier abliefern sollten. Wie diese gerochen haben, ist darin allerdings nicht überliefert.
Einige Exemplare wurden an Karfreitag dem Priester zum Segnen gebracht und diese dann als besondere Ostergaben bemalt.
Der Marktwert der Eier geht längst über Zins, Verzierung und das harte Innere hinaus. Das „Österreichische Appetitlexikon“ schwärmte in seiner Ausgabe von 1899 vom „Formenreichtum schon beim Rührei!“ Und zählte „Rührei mit Butter und Rührei mit Bratensauce, Rührei mit Speck und Rührei mit Blumenkohl, Rührei mit Trüffeln, Rührei mit Sardellen, mit Schinken, mit Schnittlauch, mit Käse, mit Spargel“ auf, lobte in den höchsten Tönen das „Geschwader der Eierkuchen, die Eiermehlspeisen, die Eierbackwerke und die Eiercremes.“ Das Ei sei eine „der Säulen der Küche, bei deren Wegnahme die Kunst elend zusammenbrechen“ würde.
Lange jedoch waren Eier nur banale Hilfszutaten. Köche legierten mit ihnen dünnere Saucen zu voluminösen Tunken oder klärten mit dem Eiweiß trübe Rinderbrühen.
Erst die regional geprägte Küche entdeckte die Vielfalt der Hühnerprodukte wieder. Als im inzwischen legendären Kopenhagener Restaurant „Noma“ Küchenchef René Redzepi sein Gericht „Das Huhn und das Ei“ servierte, bekam die Gourmetwelt eine neue Idee von dem, was ein Ei ist.
Den Gästen wurde zunächst ein rohes Ei, Salz, ein wenig Heuöl, ein Pfännchen, ein Stövchen und ein Kurzzeitwecker an den Tisch gebracht. Nun waren sie ihre eigenen Köche. In genau zwei Minuten brieten sie selbst ein Spiegelei, hoben einen Klacks Kräuterbutter unter, legten ein paar Spinatblätter dazu und würzten zum Schluss mit zahlreichen Kräutern, die aus der Umgebung stammten, wo die Henne das Ei gelegt hatte.
Das triviale Ei begann seinen Triumph in der gehobenen Küche und wurde zum Star in der fleischlosen Kochkunst.
Kaum ein Lokal, das etwas auf sich hielt, präsentierte in den letzten Jahren nicht ein Onsen-Ei, angelehnt an die japanische Tradition, Eier in heißen Quellen, den sogenannten Onsen, zu garen. Das Geheimnis: Sie zogen bei Temperaturen von 62 bis 69 Grad bis zu eine Stunde, bis das Weiße langsam gerann und das Gelbe eine wachsweiche Konsistenz bekam. Die asiatische Variante der hierzulande bekannten verlorenen Eier, die zu Großmutters Standard gehörten, wird nun wie im Münchener „Werneckhof“ als pochiertes Ei mit Entenleber, Perigord-Trüffel-Jus und großzügig gehobelten Trüffelscheiben obenauf zur Luxus-Schlemmerei. Bei den pochierten sorgt ein Schuss Essig im sich wie bei einem Sog drehenden Kochwasser dafür, dass sich das gerinnende Eiweiß wie eine Schutzschicht um das fast flüssige Dotter legt.
Vor allem in den angesagten Bistros haben Köche die „Eggs Benedict“ wiederentdeckt, pochierte Eier auf Toast mit Schinken und ordentlich viel Sauce hollandaise. Statt Schinken gibt es nun oft Avocadoscheiben.

In den Spitzenküchen wird das Eigelb selbst zum Gewürz, nachdem es in Salz, Zucker und Zitronenabrieb mindestens drei Tage im Kühlschrank gebeizt und anschließend gedörrt wurde. In kleine Späne gehobelt verfeinert es sowohl Rinder- als auch Rote-Bete-Tatar.
Es ist zwar nicht so, dass Hühner tatsächlich jeden Tag ein Ei legen und sonntags schon gar nicht zwei, aber die vom Menschen gezüchteten Haustierrassen bringen es auf rund 300 im Jahr. Ihre wilden Urahnen brachten es im selben Zeitraum auf höchstens 60.
Die Bankivahühner gelten als Adam und Eva unseres heutigen Haushuhns und leben in Süd- und Südostasien. Zuerst begannen die Chinesen mit der Zucht, die Federtiere wanderten mit Handelsreisenden nach Ägypten, später ins Römische Reich und damit nach Europa.
Ihre Vielfalt ist oft nur ambitionierten Hobbygourmets und Profiköchen bekannt. Mindestens 180 Rassen scharren weltweit in freier Wildbahn, Gärten oder auf Bauernhöfen. Eingeteilt hat sie der Mensch nach drei Qualitäten, je nachdem, was im Topf landet. Die einen sind vor allem füllig und fleischig, andere fürs Eierlegen gezüchtet und die dritten, sogenannte Zwiehühner, liefern sowohl tolles Fleisch als auch ordentlich viel Eier.
Die meisten kennen allerdings nur die Einheitshühner aus dem Supermarkt, die aus der industriellen Tierhaltung stammen. Getrimmt und gemästet für rasant wachsendes Fleisch oder rekordverdächtige Legeleistung. Weit entfernt von einem glücklichen Hühnerleben unter Sträuchern und in Sandkuhlen. Die Farbe der Eierschalen ist meist weiß und braun.
Ihre Artgenossinnen, die Licht und Luft haben, können aber auch anders und bringen nicht nur zu Ostern Farbe in den Eierkorb.
Sie beglücken mit roten, cremefarbenen, türkisen oder bläulichen Eiern. Wissenschaftler fanden heraus, dass die Farbe genetisch bestimmt und damit von der Rasse abhängig ist. Das Prozedere beginnt im Legedarm. Dort bildet die Schalendrüse Pigmente aus dem roten Blutfarbstoff Hämoglobin. In der Galle entwickeln sich gelbe Pigmente. Nun entstehen nach genetischem Bauplan braune, bräunliche oder rötliche Schalen, je nachdem, wie viele Pigmente sich mit welcher Zusammensetzung auf der Kalkschale ablagern. Dabei ist fast jedes Ei ein Unikum mit anderer Schattierung, was man beim Kauf eines Six-Packs brauner Eier bestens erleben kann. Bei grünlich gefärbten sorgt der Gallenfarbstoff Oocyan für die spezielle Nuance, bei weißen lagern sich keine Pigmente ab. Ein diskreter Vorgucker auf die Eierschalenfarbe versteckt sich hinter dem Ohrläppchen. Ist die Ohrscheibe dort weiß, sind auch die Eier weiß. Ist sie rot, gibt es meist braune Eier.
Ob weich, hart oder gerührt, stets gibt es den leicht warnenden Finger der Gesundheitsexperten, wenn es darum geht, wie viele Eier man denn essen sollte. Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht. Es geht dann um das darin enthaltene Cholesterin. Denn ein Zuviel davon im Körper birgt die Gefahr von Durchblutungsstörungen. Die Medizin ist sich nicht immer einig, viele Studien jedoch warnen vor einem täglichen Ei und damit vor dem höheren Risiko eines Schlaganfalls. Ob sich Eier tatsächlich auf den Cholesterinspiegel auswirken, mag dahingestellt sein. Bei einer gesunden und abwechslungsreichen Ernährung jedenfalls wird ein Ei ab und zu sicherlich keinen Schaden anrichten.