Disclamer: Dieser Text hat einen kulturhistorischen Fokus und soll keineswegs den Fleischkonsum verherrlichen. Er dient lediglich dazu, die Geschichte und Kontroverse rund um den Verzehr von Pferdefleisch in Europa zu beleuchten. Wir respektieren die Entscheidungen und Überzeugungen jedes Einzelnen in Bezug auf seine oder ihre individuelle Ernährung und unterstützen eine offene und respektvolle Diskussion über verschiedene Ernährungsweisen.
Das Pferdesteak: Delikatesse oder Obszönität?
Das „Päerdsbiftek“ oder „steak de cheval“ ist aus den Speisekarten traditioneller luxemburgischer Restaurants nicht wegzudenken. Auch in portugiesischen, französischen und italienischen Restaurants hierzulande ist das Gericht keine Seltenheit.
Umso größer ist das Entsetzen unserer Nachbarn östlich der Mosel, wenn sie diese Delikatesse in den hiesigen Restaurants entdecken. In Deutschland ist der Verzehr von Pferdefleisch je nach Region bestenfalls eine Obskurität, schlimmstenfalls eine Obszönität. In Restaurants findet man es so gut wie nie, in Supermärkten auch eher selten. Jedoch finden sich vereinzelt, vor allem im Rheinland, traditionelle Pferdemetzgereien, in denen die Ware als Delikatesse gehandelt wird. Im Allgemeinen stößt man in Deutschland beim Thema Pferdefleisch aber eher auf Ablehnung.
Damit sind die Deutschen in Europa keine Ausnahme. In Großbritannien gilt Pferdefleisch als absolutes Tabu, in Griechenland ist das Schlachten von Pferden sogar gesetzlich verboten.
Warum scheiden sich an diesem Thema derart die Geister?
Das päpstliche Pferdefleischverbot
Die Abneigung gegen den Verzehr von Pferden ist in unserer Geschichte – relativ gesehen – ein recht junges Phänomen. In den Jäger und Sammlergesellschaften der Vorzeit wurden Wildpferde gejagt, denn diese dienten als wichtige Proteinquelle.
Als man zwischen 4000 und 2000 v.Chr. begann, das Pferd zu domestizieren, änderte sich die Beziehung zu dem Tier. Pferde wurden Nutztiere, weshalb sich deren Verzehr stark verringerte, aber nicht gänzlich verschwand.
Die früheste Kontroverse zum Thema findet sich im Jahr 732 n.Chr. Damals erließ Papst Gregor III. ein offizielles Pferdefleischverbot. Der genaue Beweggrund ist nicht genau belegt, jedoch lassen sich zwei Ursachen benennen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dieses Dekret befeuert haben:
Zum einen ist nachgewiesen, dass bei vielen germanischen Völkern rituelle Pferdeschlachtungen vollzogen wurden. Im Zuge der Christianisierung Germaniens wurde das Verbot wahrscheinlich eingesetzt, um den heidnischen Glauben zu unterdrücken.
Der andere Grund war die Bedrohung durch die Araber aus dem Osten, gegen die der militärische Einsatz von Pferden zu unabdinglich war, um diese in großer Zahl zu Nahrungszwecken zu verwenden.
Dieses Verbot stellt für die Geschichte des Christentums eine Besonderheit dar, da es, im Gegensatz zu anderen Religionen, im Christentum normalerweise keine religiös auferlegten Nahrungsverbote gab.
Revolution und Verbreitung
In den meisten europäischen Ländern blieb das Schlachten von Pferden bis ins 18. Jahrhundert gesetzlich untersagt. Pferde genossen als Arbeits- und Zuchttiere einen zu hohen Stellenwert um als Nahrungsquelle herzuhalten.
Der große Wendepunkt war die Französische Revolution. Die Pferde, die der Aristokratie als Zeichen des Prestiges gehörten, wurden geschlachtet, um die hungrigen Massen zu ernähren. Während der napoleonischen Eroberungszüge wurden die französischen Truppen dazu angehalten, ihre Pferde, wenn nötig, auf dem Feldzug zu essen. Dies war eine nicht unwichtige Voraussetzung für den Erfolg des französischen Militärs.
Auf diesem Wege kam die Praxis dann auch nach Luxemburg, in die Niederlande und ins Rheinland.
In den deutschen Regionen, die nicht dem Rheinbund angehörten, wurde der Pferdefleischverzehr als „französische Barbarei“ angesehen. Genauso in Großbritannien, wo man dem Revolutionsregime sehr feindselig gegenüberstand und der Verzehr von Pferdefleisch bis heute sehr verpönt bleibt.
Ein fader Beigeschmack?
Während sich das Pferdefleisch in Ländern wie Frankreich, Italien oder auch hier in Luxemburg in die Nationalküche integriert hat, blieb das Pferd in Deutschland (mit Ausnahme einiger Regionen) hauptsächlich Haus- und Nutztier.
In Zeiten extremer Teuerung, besonders während und nach den beiden Weltkriegen, blieb der deutschen Bevölkerung aber oft nichts weiter übrig, als alte und kranke Nutztiere – allen voran Pferde – zu schlachten.
Pferdefleisch wurde zur Speise der armen Leute und ihm hallte fortan der Ruf nach, von schlechter Qualität zu sein.
Der Verzehr von Pferdefleisch ist in Deutschland eng mit Bildern von Armut und Misere verknüpft, weswegen es bei vielen Leuten bis heute schlechte Assoziationen weckt.
Dies ist wahrscheinlich der Hauptgrund, weshalb es unsere Deutschen Freunde etwas irritieren mag, wenn sie hören, dass in Luxemburg Pferdesteak zu den traditionellen Delikatessen gehört.
Allerdings haben heute auch viele Leute Vorbehalte, da sie Pferde, ähnlich wie Hunde und Katzen, als Haustiere ansehen, die eine besondere Bindung zum Menschen haben.
Immer noch Bedenken?
Natürlich bleibt die Entscheidung, was man essen möchte und was nicht, jedem selbst überlassen. Wer aber bislang Bedenken bezüglich der Qualität von Pferdefleisch hegte, der sei entwarnt:
Pferdefleisch hat einen hohen Protein– und einen sehr geringen Fettgehalt, bleibt dabei aber sehr zart und geschmackvoll. Wer ethische Bedenken hat, sei daran erinnert, dass Pferde im Gegensatz zu Kühen und Schweinen nicht aus Massentierhaltung entstammen und hierzulande meistens aus regionalen Schlachthäusern kommen.
In Zeiten, in denen immer mehr Menschen zurecht gänzlich auf den Verzehr von Fleisch verzichten, spielt die Kontroverse um Pferdefleisch möglicherweise keine so große Rolle mehr. Nichtsdestotrotz bietet uns die Geschichte dieses kulinarischen Phänomens einen faszinierenden Einblick in unsere gemeinsame kulturelle Geschichte und individuellen Eigenarten.