Der Ausdruck „Body Positive“ ist gerade (wieder) in aller Munde. In Werbekampagnen, in den sozialen Netzwerken, in Buchhandlungen … Selbstakzeptanz und Wohlwollen sind zu Mantras geworden, die wir immer und immer wieder neu entdecken wollen. Lieben wir uns deshalb mehr? Nicht unbedingt …
Die „Body Positive“-Bewegung wurde in den 1990er-Jahren in den USA geboren. Nachdem ihre Schwester an einer Essstörung gestorben war, beschloss Connie Sobczak, mit Hilfe von Elizabeth Scott die Bewegung „The Body Positive“ zu gründen. Das Ziel der Bewegung war es, jede(n) so zu akzeptieren, wie er/sie ist, jeder Art Körper, ob dünn oder dick, unbehaart oder durch fehlende Pigmente geprägt, als gleichwertig zu sehen.
Auf dem Papier klingt das alles sehr gut, doch in der Praxis sieht die Sache schon ein wenig komplizierter aus.
Zunächst wirkte sich die Bewegung positiv aus und eröffnete neue Horizonte. Superdünne Supermodels mit goldener, ultra-satinierter Haut gaben (zumindest) ein wenig von ihrem Platz auf den Titelseiten der Magazine ab. Thando Hopa war die erste Albino-Frau, die es auf das Cover der Vogue schaffte. Die gleiche (R)Evolution lässt sich auf den Laufstegen beobachten: Endlich dürfen auch Models in Übergröße, wie Ashley Graham, auf den Fashion Weeks laufen. Und das vermittelt einem schon ein tolles Gefühl.
Und dann revidierte Instagram das Konzept
Seitdem sich die sozialen Netzwerke der Bewegung bemächtigt haben, entfernt sie sich immer weiter von ihrem ursprünglichen Zweck. Auf Instagram bezieht sich das Hashtag „Body Positive“ zwar auf nicht weniger als 18 Millionen Beiträge, doch bei genauerem Hinsehen ist man weit von der erhofften Vielfalt und einem entfernt.
Wenn Sie #bodypositive auf Instagram eingeben, werden Ihnen gerade einmal 12 Beiträge von sechs jungen Frauen und angezeigt, die ihre wohlgeformten und gesunden Körper in kunstvollen Bildern zur Schau stellen, zusammen mit zwei positiven Mantras. Was die Akzeptanz ALLER Körper in ihrer natürlichen Form angeht, so bleibt wohl oder übel noch Geduld angesagt. „Das Onlinekonzept von Bodypositive hat eine Norm geschaffen, bei der Frauen auf Instagram den Hashtag #bodypositive setzen, obwohl sie Größe 40, eine Wespentaille und nicht den geringsten Dehnungsstreifen haben. Wenn sie sich beim Yoga in den Lotossitz begeben, sieht man gerade mal eine kleine Wölbung an der Taille. Und das sind die Fotos, die sie dann machen und sagen: „Seht her, ich bin Body Positive“. Nein, du hast die perfekten Maße, also hör auf damit! Freu dich, dass du in der Norm liegst. Es hat nichts von einer Aktivistin, wenn du dich verbiegst, um eine imaginäre Fettwulst zu erzeugen“, sagt Daria Marx(1) in Episode 34 (Staffel 1) von Lauren Bastides La Poudre.
Selbst auf sprachlicher Ebene erweisen sich die Dinge komplexer als gedacht. „Die ‚Body Positive‘-Bewegung wird sicherlich nicht ausreichen, um die Menschen vom Wunsch nach Konformität zu befreien. Letzterer ist im Übrigen nichts weiter als die Antwort auf ein gesellschaftliches Bedürfnis, das allen Lebewesen gemeinsam ist: das Bedürfnis nach Anerkennung“, so die Linguistin Stéphanie Pahud(2). „Wir müssen aufhören, ‚sich lieben‘ mit ‚sich bestätigt fühlen‘ zu verwechseln.“ Die Nebenwirkungen einer solchen Verwechslung können gar verheerend sein. „Sie führen zu einschränkenden Vorstellungen. Einige Ausläufer der ‚Body Positive‘-Bewegung suggerieren, dass es einen ‚natürlichen‘ Körperzustand gibt. Die Aufforderung, ‚man selbst zu werden‘ oder ‚sich so zu akzeptieren, wie man ist‘, nährt eine fixistische Vorstellung von Identität. Stattdessen formt sich unser Körper in der Konfrontation mit dem, was ihn umgibt, und hört nicht auf, sich im Laufe unseres Lebens und der von uns gesammelten Erfahrungen (neu) zu gestalten.“
Seinen Körper lieben, koste es, was es wolle
Die „Body Positive“-Bewegung stieß schnell an ihre Grenzen, als sie sich von einem wohlwollenden Konzept in eine weitere Aufforderung verwandelte: Man solle sich selbst so akzeptieren, wie man ist, ohne dabei auf Dehnungsstreifen, Fettpölsterchen oder Glatze zu achten. Und das kann in einer psychologischen Belastung ausarten: Viele Menschen fühlen sich durch diesen Trend noch unwohler als zuvor. Man verlangt von ihnen, sich selbst zu lieben, was nicht immer einfach ist. Anstatt sie davon freizusprechen, stellt die „Body Positive“-Bewegung den Körper weiterhin in den Mittelpunkt der Debatte und der Beziehung zu anderen. Die zweite Episode der zweiten Staffel der Serie Euphoria ist eine perfekte Illustration dieses Paradoxons: Während Kate (Barbie Ferreira) ihre Liebesbeziehung in Frage stellt, wird ihr klar, dass sie sich im Grunde selbst nicht ausstehen kann. Worauf ein ultra-bodypositives Girl nach dem anderen an ihre Stärke appelliert und sie dazu auffordert, sich selbst zu lieben. Diese Szene, die den Deckmantel des Wohlwollens trägt, ist in Wirklichkeit von unglaublicher Gewalt und zeigt die toxische Kehrseite der Medaille.
Wenn man Menschen, die nicht in diese Schubladen passen (oder nicht hineinpassen wollen), trotzdem hineinsteckt, kann es schon einmal vorkommen, dass man sich plötzlich fragt, ob das so richtig ist. Barbie Ferreira wurde zur Body-Positive-Ikone ernannt, obwohl sie einzig das Recht einforderte, sich so zu kleiden, wie sie es möchte. Die Popsängerin Adele, die ebenfalls zur Sprecherin der Bewegung erklärt und später wegen ihres Gewichtsverlusts heftig kritisiert wurde, ist nur ein anderes Beispiel dafür. Was also tun? „Es scheint mir konstruktiver und positiver zu sein, zu versuchen, sich selbst als ‚wertvoll‘ zu betrachten, und das unabhängig von unserer Figur, unserem Aussehen, kurz unserem Körper. Wir müssen Voraussetzungen schaffen, unter denen wir unsere Verletzlichkeit ausleben können, und dürfen uns nicht in der Illusion einer chimärischen Unfehlbarkeit oder Perfektion wiegen“, erklärt Stéphanie Pahud, die das Problem von der narzisstischen Selbstverständlichkeit weg verlagert.
Sich selbst zu lieben, weil man so ist, wie man ist, und nicht deshalb, wie man aussieht, ist also der Schlüssel, um sich selbst besser zu akzeptieren? Sie haben zwei Stunden Zeit!
(1) Aktivistin im Kampf gegen Vorurteile gegen unter Fett Leidende, Mitbegründerin des Kollektivs „Gras Politique“ und Autorin von Gros n’est pas un gros mot : chroniques d’une discrimination ordinaire, erschienen in französischer Sprache im Verlag Flammarion
(2) Autorin von Chairissons-nous, erschienen in französischer Sprache im Verlag Favre